Die nigerianische Filmindustrie gilt als zweitgrößte der Welt nach Bollywood – zumindest, was die Anzahl der Filme angeht. Die technische Qualität vieler Nollywood-Streifen ist bisher aber mäßig. Dass Netflix in Afrika nun den Durchbruch schaffen will, könnte die Branche nachhaltig verändern.
Wenige Unternehmen haben von der Corona-Pandemie so klar profitiert wie der US-Streamingdienst Netflix. Mitte Januar kostete eine Aktie des Unternehmens noch rund 300 Euro. Vor einigen Tagen waren es zeitweise fast 500 Euro. Und allein im ersten Quartal hat der Konzern eigenen Angaben zufolge weltweit knapp 15,8 Millionen neue Kunden dazu gewonnen – also circa fünf Mal so viele Menschen wie in Berlin wohnen.
Das größte Wachstum hat Netflix dabei in der Region ‚EMEA‘ verzeichnet, also in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika. Vor allem in Afrika scheint Netflix derzeit eine Menge Potential zu sehen. Zumindest lässt das die jüngste Marketing-Offensive des Unternehmens vermuten. So investiert Netflix schon seit einiger Zeit verstärkt in afrikanische Produktionen. Im Februar hat sich das Unternehmen mit einem Twitter-Kanal namens „Netflix Naija“ in Nigeria vorgestellt. Und im Mai hat der Streamingdienst eine großangelegte Werbekampagne für Filme „Made in Africa“ gestartet.
Netflix in Afrika: Nollywood als Partner
Einer der wichtigsten Partner vor Ort ist für Netflix dabei die nigerianische Filmindustrie. Besser bekannt als Nollywood. Die Branche hat seit den 90er-Jahren einen rasanten Aufstieg hingelegt und gilt heute in Nigeria als einer der wichtigsten Wirtschaftszweige. Pro Jahr produzieren die Studios laut dem Fernsehsender BBC mehr als 2000 neue Filme. Bisher handelt es sich dabei oft um Low-Budget-Produktionen. Dafür punkten die Filme aber mit ihrer Handlung. Die ist nämlich deutlich näher dran am Leben der Menschen vor Ort als zum Beispiel die meisten Hollywood-Filme. Das hat mir die Produzentin Emem Isong-Misodi erklärt, als ich 2018 in Nigeria auf Recherchereise war.
Als ich 2018 bei meiner Recherche Teile von Nollywood kennengelernt habe, fand ich die Aufbruchsstimmung dort ziemlich beeindruckend. Viele Schauspieler*innen und Produzent*innen, mit denen ich gesprochen habe, waren sich total sicher, dass ihre Branche in den kommenden Jahren durchstarten wird. Kurz zuvor hatte Marvel einen internationalen Kinohit mit dem Film “Black Panther” gelandet – also mit einem der ersten Hollywood-Filme mit ausschließlich schwarzen Darstellern. Darin spielen zwar vor allem schwarze US-Amerikaner mit und keine Schauspieler aus Nollywood. Trotzdem war das für viele Menschen vor Ort eine Motivation.
Afrikanische Serien bei Netflix: Queen Sono und Blood & Water
Durch Netflix könnte der Traum vom internationalen Durchbruch Nollywoods nun möglicherweise schneller wahr werden als gedacht. Noch ist die Zahl der afrikanischen Abonnenten von Netflix Schätzungen zufolge zwar eher gering. Das Marktforschungsunternehmen Digital TV Research geht davon aus, dass Netflix in Afrika derzeit etwa 1,4 Millionen Nutzer hat. Der US-Konzern investiert aber viel Geld, damit es mehr werden. So hat sich Netflix bereits die Rechte an mehreren Nollywood-Blockbustern wie Lionheart gesichert. Und seit diesem Jahr setzt der Streamingdienst auf afrikanische Eigenproduktionen, wie die Serien „Queen Sono“ und „Blood & Water“, die nun weltweit für Kunden abrufbar sind.
In Nollywood scheint man dieses Engagement des US-Konzerns zu begrüßen. „Ich denke, das könnte auch ein Türöffner für afrikanische Schauspieler, Drehbuchautoren und Regisseure auf dem internationalen Markt sein“, sagt zum Beispiel die nigerianisch-amerikanische Produzentin Melissa Adeyemo im Interview mit der Deutschen Welle. Und das Filmstudio EbonyLifeTV, das kürzlich einen größeren Deal mit Netflix abgeschlossen hat, schreibt auf seiner Internetseite, man sei über die sich vertiefenden Beziehungen äußert erfreut.
Netflix vs. IrokoTV: Wer macht das Rennen?
Allerdings steht Netflix in Afrika durchaus vor Herausforderungen. So befindet sich das kabelgestützte Internet vielerorts auf dem Kontinent noch im Aufbau. Wie ich bereits auf meinem Blog berichtet habe, arbeitet zum Beispiel Facebook gemeinsam mit dem südafrikanischen Telekommunikationskonzern MTN gerade an einem neuen Seekabel. Und Filme über das mobile Datenvolumen zu streamen ist für afrikanische Nutzerinnen und Nutzer auf die Dauer natürlich ziemlich teuer.
Dazu kommt, dass Netflix in Afrika durchaus Konkurrenz hat – und zwar sowohl von einheimischen Anbietern als auch von internationalen Konzernen. Zur einheimischen Konkurrenz zählt zum Beispiel der nigerianische Streaminganbieter IrokoTV, mit Büros in Lagos, London und New York. Im Jahr 2010 gegründet, hat IrokoTV Millionen US-Dollar von Investoren eingesammelt und gilt heute als einer der wichtigsten Anbieter von Nollywood-Filmen. Dafür hat IrokoTV vor Ort ein smartes System aufgebaut: So betreibt das Unternehmen nach einem Bericht der Deutschen Welle eigene Kioske, bei denen sich Kunden Filme vor Ort auf ihr Smartphone laden können, um ihr Datenguthaben zu schonen.
Sorgt Netflix in Nollywood für neue Standards?
Daneben versuchen auch andere internationale Medienkonzerne langsam in Afrika Fuß zu fassen. Der französische Fernsehsender Canal+ zum Beispiel hat im vergangenen Jahr die ROK Studios in Lagos aufgekauft, eines der führenden Filmstudios im Land. Und der chinesische Bezahlsender Star Times ist laut der FAZ ebenfalls schon auf dem Kontinent vertreten.
Klar ist also: Die internationale Unterhaltungsindustrie hat das Potential von Nollywood erkannt. Für die Studios vor Ort sind die damit verbundenen Investitionen eine gute Einnahmequelle. Das könnte dazu führen, dass mittelfristig auch die Budgets für Produktionen vor Ort steigen – und sich Nollywood künftig nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ mit anderen Filmindustrien messen kann. Netflix steht auf jeden Fall mit seiner nächsten afrikanischen Eigenproduktion schon in den Startlöchern: Die Dreharbeiten „Jiva!“ über eine junge Streetdancerin sind gestartet und sollen abgeschlossen werden, sobald es die Corona-Krise zulässt.
Mehr lesen:
- Mehr über den Wettstreit um den afrikanischen Streamingmarkt lest ihr bei der Deutschen Welle sowie bei der FAZ.
- Der Medienanthropologe Alessandro Jedlowski hat für das Portal “The Conversation” analysiert, was der Einstieg von Netflix aus seiner Sicht für Nollywood bedeutet. (englisch)
- Das Portal Techcrunch ist bereits 2016 der Frage nachgegangen, was es für Netflix in Afrika zu holen gibt – und was nicht. (englisch)
- Um sich an den afrikanischen Markt anzupassen, testet Netflix dort vor Ort günstige Handy-Abos, schreibt Quartz.
- Spannend finde ich auch das Unternehmen IrokoTV. Hier findet ihr ein Firmenporträt dazu und hier erklärt der Gründer Jason Njoku, warum er keine Angst vor Netflix in Afrika hat.
Mehr erfahren über Nigeria? Hier geht’s zur Länderübersicht.
Ein toller, sehr informativer Artikel. Habe ich gerne gelesen, verfolge deinen Blog schon länger und finde es toll zu sehen, wie du den Kontinent von einer ganz neuen Seite zeigst. Weiter so!
Liebe Katja, auch dieses Mal habe ich in Deinem Newsletter vielfältige Informationen gelesen. Vor allem hat mich die Technik begeistert, mittels Ballon den Menschen die Teilhabe am Internet zu ermöglichen. Da muss man erst drauf kommen.
Herzliche Grüße, Ute