Die EU will bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden – und grüne Technologie zum Exportschlager machen. Chancen bieten sich dafür in afrikanischen Ländern, insbesondere im Energiebereich. Noch fehlt es von Seiten der EU aber an attraktiven Angeboten.
Wie wollen und können wir in Zukunft leben? Das ist eine Frage, die uns derzeit alle beschäftigt. Fast täglich liest man in den Nachrichten von steigenden Meeresspiegeln, starken Dürren und neuen Hitzeperioden.
In der EU haben Politiker den Schutz des Klimas daher zur obersten Priorität erklärt. Der sogenannte European Green Deal sieht vor, dass die Netto-Treibhausgasemissionen in der EU bis zum Jahr 2050 auf null sinken. Unter anderem will die EU-Kommission dafür den Anteil der Erneuerbaren Energie am Strommix erhöhen und die Landwirtschaft nachhaltiger machen. Dazu soll die Verschwendung von Lebensmitteln und der Einsatz von Pestiziden reduziert werden. Pestizide schaden nämlich nicht nur der Natur, sondern müssen auch mit sehr viel Energieeinsatz hergestellt werden. Maßnahmen für nachhaltige Mobilität und mehr Recycling sind im Green Deal ebenfalls vorgesehen.
Klar ist allerdings: Wenn die EU im Kampf gegen den Klimawandel tatsächlich etwas bewirken will, ist ein Alleingang beim Green Deal sinnlos. Die Menschen in der EU verursachen zwar pro Kopf vergleichsweise viele Treibhausgase. Insgesamt liegt der Anteil der EU am weltweiten Treibhausgasausstoß aber nur bei weniger als zehn Prozent. Der europäische Green Deal müsse daher global gedacht werden, schreibt der renommierte Brüsseler Think Tank Bruegel. Die EU muss also beweisen, dass sich der Umbau der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit auch wirtschaftlich lohnt. Nur dann wird sie andere Staaten begeistern können, den gleichen Weg mitzugehen.
Warum Afrika beim Green Deal der EU als wichtiger Partner gilt
Als wichtiger Partner für die EU beim Green Deal gilt dabei der afrikanische Kontinent. Ein Grund dafür ist offensichtlich. Die afrikanischen Staaten stoßen zwar bisher nur sehr wenig Treibhausgase aus. Das wird sich aber schnell ändern, wenn mehr Menschen auf dem Kontinent in die Mittelschicht aufsteigen. Dann werden auch dort mehr Kraftwerke laufen, mehr Autos fahren, mehr Menschen Fleisch essen und in den Urlaub fliegen. Grundsätzlich wäre das natürlich eine gute Entwicklung. Für das Klima würde es aber bedeuten, dass die Pariser Ziele unerreichbar werden – zumindest wenn afrikanische Staaten auf fossile Energie setzen. “Das zusätzliche CO2 könnte man in Europa gar nicht einsparen”, betonte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller erst vor wenigen Tagen.
Die EU hat daher allein schon aus Selbsterhaltungstrieb ein Interesse daran, dass afrikanische Länder umweltfreundlich wachsen. Das hätte für europäische Staaten außerdem weitere Vorteile. Zum Beispiel könnten sie dann die nachhaltigen Technologien, die sie derzeit für ihren eigenen Green Deal entwickeln, auch nach Afrika exportieren. Und: Sehr langfristig gedacht könnte der afrikanische Kontinent für die EU zum Lieferanten für Erneuerbare Energie werden. Bisher importiert die EU nämlich in großem Umfang Öl und Erdgas und das lässt sich mit den eigenen Nachhaltigkeitszielen offensichtlich nicht vereinbaren.
Klimawandel in Afrika: eine enorme Bedrohung
Die gute Nachricht ist, dass das Thema Klimaschutz in der Afrikanischen Union durchaus ebenfalls hohe Priorität hat. Der Kontinent hat den Klimawandel zwar am wenigsten mit verursacht, leidet aber mit am stärksten darunter – eine ziemliche Ungerechtigkeit. Die Folgen lassen sich vielerorts schon jetzt absehen. Zum Beispiel habe ich im Jahr 2018 bei einer Recherchereise nach Nigeria den Strand von Okun Alfa bei Lagos besucht. Dort werden immer wieder ganze Gebäude ins Meer gerissen, weil der Meeresspiegel steigt und Sturmfluten zunehmen. Und andernorts in Nigeria macht der Klimawandel ebenfalls Probleme. Durch die Erwärmung der Meere sinken die Fischbestände, Weide- und Ackerflächen vertrocknen, es gibt teilweise mehr Armut und Landkonflikte. Anderen Staaten auf dem Kontinent geht es ähnlich.
Die Afrikanische Union (AU) ist daher durchaus an einer Zusammenarbeit mit der EU im Rahmen des Green Deals interessiert. Mindestens genauso wichtig wie nachhaltiges Wachstum ist den Staaten allerdings schnelles Wachstum – vor allem jetzt, nach der Coronakrise. Oberste Priorität hat für die Afrikanische Union dabei der Ausbau der Energieversorgung. Denn fehlender und teurer Strom ist eines der größten Probleme für die Unternehmen und Menschen vor Ort. “Afrika ist der Kontinent mit dem weltweit schlechtesten Energiezugang; die unzuverlässigen Netze kosten den Kontinent jährlich schätzungsweise etwa zwei bis vier Prozent des BIP”, schreiben Forscher vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (GDI).
Die Coronakrise hat den afrikanischen Kontinent wirtschaftlich hart getroffen. Wie sich die Pandemie auf die Wirtschaft vor Ort auswirkt, habe ich in diesem Blogartikel aufgeschrieben.
Afrika und der Green Deal der EU: Chancen im Energiesektor
Bei der EU-Afrika-Kooperation im Rahmen des Green Deals kommt dem Energiesektor daher eine wichtige Rolle zu. Theoretisch hat der afrikanische Kontinent ein enormes Potential für den Ausbau von Erneuerbarer Energie. Es gibt dort viel Sonne, Wind, viele freie Flächen und vielerorts auch Geothermie und Wasserkraft. Könnten afrikanische Staaten diese Ressourcen nutzen, um ihren steigenden Energiebedarf zu decken, wäre für das Klima viel gewonnen. Die EU könnte die nötige Technologie liefern und so für europäische Unternehmen neue Märkte erschließen. Auf den ersten Blick scheint das offensichtlich eine große Chance zu sein.
In der Praxis macht der Ausbau der Erneuerbaren Energie auf dem afrikanischen Kontinent auch durchaus Fortschritte. Das gelte insbesondere für die Region Ostafrika, schreibt die Unternehmensberatung Rödl & Partner. “Der Anteil der Erneuerbaren Energien an der gesamten installierten Stromerzeugungskapazität im Jahr 2015 in der Region der Ostafrikanischen Gemeinschaft betrug 65 Prozent.” Staaten wie Ruanda, Äthiopien und Kenia versuchen demnach, den Ausbau gezielt zu fördern. Ruanda zum Beispiel hat den Importzoll auf Baumaterial für Energieprojekte gesenkt. Fortschritte beim Ausbau von Wind- und Solarkraft gibt es auch in anderen Staaten wie Marokko oder Togo.
Afrika-EU-Kooperation: Bei Weitem kein Selbstläufer
Trotz dieser positiven Entwicklungen ist es aber noch keinesfalls sicher, dass der afrikanische Kontinent künftig vorrangig auf Erneuerbare Energie setzt. Das zeigt eine aktuelle Studie . Die internationale Forschergruppe hinter der Studie hat eine KI-Software genutzt, um vorherzusagen, welche Energieprojekte in Afrika in den nächsten Jahren fertiggestellt werden. Sie kommen zu dem Schluss, dass bis zum Jahr 2030 vor allem fossile Energie weiter ausgebaut wird. Für den Ausbau der Erneuerbaren Energie fehle es vielerorts an Geldgebern, tragfähigen Projekten und einer angemessenen Gesetzgebung, warnt auch das Fachportal “Energyload”.
Noch halten sich europäische Unternehmen also offenbar mit Investitionen in Solarparks und Windkraftanlagen in Afrika zurück – trotz aller politischen Ziele im Green Deal. Im Deutschlandfunk habe ich mit Stefan Liebing, dem Vorsitzenden des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, über die Gründe gesprochen. Er sagt: “Ich glaube, wir brauchen eine Art von Zahlungsausfallversicherung. Wenn die Stromabnehmer in Afrika, an die wir den grünen Strom verkaufen wollen, wenn die nicht bezahlen können oder wollen, dann brauchen wir eine Hermesbürgschaft, die es ja für Exportgeschäfte schon gibt.” Heißt im Klartext: Damit europäische Unternehmen mehr in Afrika investieren, braucht es Finanzierungsmodelle, die solche Investitionen attraktiver machen.
Afrika, EU und der Green Deal: Ein Win-Win für beide Seiten?
Neben dem Energiesektor gibt es dabei auch weitere Bereiche, in denen die EU und Afrika beim Green Deal zusammenarbeiten könnten. Denkbar ist, dass europäische Unternehmen auf dem afrikanischen Kontinent Recyclinganlagen aufbauen und ihr Know-how in Sachen Kreislaufwirtschaft weitergeben. Oder dass sie smarte Bewässerungssysteme für die Landwirtschaft entwickeln. Wichtig finde ich, dass solche Geschäftsbeziehungen dann aber auch wirklich beiden Seiten einen Nutzen bringen. Dafür müssen europäische Unternehmen Zulieferer von vor Ort beauftragen. Und sie müssen lokale Fachkräfte ausbilden, die dann mit solchen Anlagen umgehen können.
Denn eines ist meines Erachtens nach klar: Wir können von afrikanischen Staaten nicht automatisch erwarten, dass diese ihr Wirtschaftswachstum für den Klimaschutz hinten anstellen. Das machen Industriestaaten wie Deutschland schließlich auch nicht. Wenn die EU also ein Interesse daran hat, Afrika im Rahmen des Green Deals als Partner zu gewinnen, sollte sie demütig auftreten. Sie sollte sich fragen: Warum überhaupt sollten afrikanische Staaten mit der EU zusammenarbeiten? Länder wie Nigeria oder Angola zum Beispiel verdienen einen Großteil ihrer Staatseinnahmen mit Ölexporten. Andere Länder wie Uganda arbeiten an neuen Pipelines. Um diese Staaten für eine nachhaltige Zukunft zu begeistern, braucht es mehr als ökologische Argumente. Es braucht vor allem attraktive wirtschaftliche Angebote.
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- Wie Afrika und die EU zusammenarbeiten können, hat die European Think Tanks Group in einer ausführlichen Analyse untersucht.
- Diese Analyse der Unternehmensberatung Rödl & Partner bietet einen Überblick über den Ausbau der Erneuerbaren Energie in Ostafrika.
- Wie kann das Potential an Erneuerbaren Energien in Afrika besser erschlossen werden? Diese Frage beleuchtet das Fachportal Energyload.
- Wie die EU künftig eine “Partnerschaft auf Augenhöhe” mit Afrika erreichen will, lest ihr hier.
1 Antwort zu “Wie die EU und Afrika beim Green Deal zusammenarbeiten wollen”