Die Bildung in Afrika steht während der Corona-Krise vor Herausforderungen; viele Schulen haben geschlossen. Länder wie Kenia setzen daher nun auf digitale Lernplattformen – ein Trend, der vor Ort schon seit Längerem Hoffnungen weckt.
Die staatliche Ilmolelian Primary School liegt ganz im Süden von Kenia, nahe der Grenze zu Tansania. Die Grundschule besteht aus mehreren grauen Steingebäuden, mit Wellblechdächern und blauen Türen. In den Pausen toben die Schüler über einen weitläufigen Platz mit rotem Sandboden, der nahtlos in die umliegende Steppe übergeht. So habe ich es erlebt, als ich die afrikanische Schule vor einigen Jahren bei einer Recherchereise besucht habe.
Seit einigen Wochen aber ist an normalen Schulunterricht in Kenia nicht mehr zu denken – genau wie in vielen anderen Ländern auf dem Kontinent. Schon Mitte März haben viele Regierungen wegen der Corona-Pandemie den Unterricht ausgesetzt. Als Alternative gewinnt nun die digitale Bildung in Afrika an Bedeutung: „Virtuelle Klassenzimmer […] und Online-Plattformen kommen erstmalig oder verstärkt zum Einsatz, auf einem Level, das wir sowohl innerhalb als auch außerhalb Afrikas noch nie zuvor gesehen haben“, schreibt Moses Ngware vom African Population and Health Research Center in einem Beitrag auf dem Online-Portal The Conversation.
Digitale Bildung in Afrika: Edtech gewinnt an Bedeutung
Digitale Bildung in Afrika gilt schon länger als neuer Trend auf dem Kontinent. Die Zahl der Firmen, die Lern-Apps oder -Plattformen anbieten, wächst kontinuierlich. „Edtech-Unternehmen“, für Education Technology, nennen sie sich im Fachjargon. Neben Nigeria und Südafrika gilt dabei vor allem Kenia als führend. Die wissenschaftliche Initiative Edtech Hub zum Beispiel hat festgestellt, dass von weltweit 180 Edtech-Firmen rund 30 aus dem ostafrikanischen Land stammen. Und als kürzlich der Finanzdienstleister Mastercard ein Förderprogramm für Start-ups aus diesem Bereich auflegte, kam ein Drittel der Finalisten von dort.
Kenia hat in den vergangenen Jahren viel dafür getan, die Schulbildung vor Ort zu verbessern. Das zeigen Zahlen der Unesco. Demnach konnten im Jahr 2018 von den über 65-Jährigen in Kenia nur gut die Hälfte lesen und schreiben. Bei den 15- bis 24-Jährigen waren es dagegen schon knapp 90 Prozent. Dennoch bleiben Probleme. Das hat mir damals der Schulleiter der Ilmolelian Grundschule erzählt. So haben manche Familien kein Geld für Schulbücher und -uniformen. Und weil es zu wenig Lehrer gibt, sind viele Klassen überfüllt.
Digitale Bildung in Afrika: Eneza Education als Beispiel
Die Hoffnung ist, dass Edtech den Zugang zu Bildung in Afrika weiter verbessern kann – und zwar nicht nur in Zeiten von Corona. Ein großer Vorteil der neuen Formate ist zum Beispiel ihre Reichweite. Digitale Bildungsanbieter können Inhalte einmal produzieren und sie dann vielen Kindern zu vergleichsweise günstigen Preisen bereitstellen. So könnten sie das bestehende Schulsystem theoretisch gut ergänzen. Überall auf dem Kontinent haben sich daher Start-ups, Regierungen und NGOs dem Thema angenommen. Das zeigt ein Bericht der Initiative Africa4Tech von 2016.
Als eines der erfolgreichsten Edtech-Unternehmen aus Kenia gilt Eneza Education. Das Unternehmen stellt Schülern verschiedene Lernmodule bereit, die sich an den staatlichen Lehrplänen orientieren. Die Inhalte können Nutzer übers Internet oder per SMS bekommen; die Preise sollen so niedrig sein, dass selbst Geringverdiener sie bezahlen können – so erzählt es CEO Wambura Kimunyu in diesem Interview. Damit Eltern einen Anreiz haben, Kindern ihr Smartphone zu überlassen, bekommen diese für richtig gelöste Aufgaben Telefonguthaben gut geschrieben.
Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben inzwischen auch in Ghana und der Elfenbeinküste tätig und hat schon über sechs Millionen Menschen erreicht. Im April und Mai hat das Unternehmen gemeinsam mit dem kenianischen Mobilfunk-Unternehmen Safaricom einige Inhalte kostenlos angeboten. Das sollte Schülern helfen, während der Corona-Krise klarzukommen – und hat dem Unternehmen womöglich auch langfristig neue Nutzer gebracht.
Kreative Ideen für digitalen Unterricht
Neben Eneza Education gibt es noch eine ganze Reihe weiterer guter Ideen: Das Unternehmen eLimu zum Beispiel wurde bereits 2010 in der kenianischen Hauptstadt Nairobi gegründet und zählt heute ebenfalls zu den Vorreitern der ostafrikanischen Edtech-Szene. Das Team hat eine App entwickelt, die Grundschülern hilft, lesen zu lernen, und zwar sowohl in Englisch als auch in Swahili. Ältere Schüler können sich mit der App des Start-ups auf Prüfungen vorbereiten – zum Beispiel, indem sie frühere Klausuren nacharbeiten.
Und das Unternehmen Litemore Limited, das auch für das neue Förderprogramm der Mastercard Stiftung ausgewählt wurde, hat eine Plattform entwickelt, auf der Schüler Lernvideos von den besten Highschool-Lehrern des Landes anschauen können. Aktuell führen übrigens auch viele Pädagogen den Unterricht einfach über WhatsApp-Gruppen fort, wie das Online-Portal Weetracker berichtet.
Digitale Bildung in Afrika geht nur mit besserem Internet
Eine Voraussetzung für den Durchbruch solch neuer Technologien ist natürlich, dass Menschen Zugang zu Internet und Hardware wie etwa Tablets haben. In Kenia zum Beispiel versucht die Regierung im Rahmen eines breit angelegten Bildungsprogramms seit 2016, jedes Grundschulkind mit einem Tablet auszustatten. Darüber hinaus werden systematisch Lehrer geschult, wie sie die neuen Lehrmethoden sinnvoll in den Unterricht integrieren können. Gleichzeitig haben allerdings neue Zensus-Daten des kenianischen Statistikamts gezeigt, dass bisher nur ein Fünftel der Kenianer Zugang zum Internet hat – deutlich weniger als bisher gedacht.
Der amerikanische Think Tank Center for Global Development warnt daher vor übertriebenen Hoffnungen. Die Zahl der Nutzer sei bei den meisten Edtech-Firmen derzeit noch verschwindend gering, schreibt dort der Wissenschaftler Lee Crawfurd. Und er weist darauf hin: Edtech sei kein Ersatz für ein klassisches Schulsystem. Damit sich die Bildung in Afrika nachhaltig verbessert, werden die Länder seiner Ansicht nach trotz Edtech neue Schulen und gut ausgebildete Lehrer brauchen.
Dennoch: Eine gute Ergänzung für Schüler können die neuen Angebote wohl darstellen. Gut möglich, dass die Corona-Krise in Kenia genau wie in Deutschland dazu beiträgt, die Akzeptanz für digitale Unterrichtsangebote zu stärken. Zudem muss sich der Internetzugang vor Ort verbessern – aber auch daran wird von lokalen Unternehmen gearbeitet, wie dieser Blogbeitrag von mir zeigt.
Zum Weiterlesen:
- Einen Vor-Ort-Bericht zum Thema findet ihr bei der FAZ.
- Das Portal Weetracker berichtet, wie andere afrikanische Staaten versuchen, den Unterricht trotz der Corona-Pandemie fortzuführen.
- Die Deutsche Welle hat kürzlich ebenfalls über den Boom von E-Learning-Angeboten auf dem Kontinent berichtet – und erklärt, warum das digitale Lernen viel Überzeugungsarbeit braucht.
Ihr wollt mehr erfahren über Kenia? Hier geht’s zur Länderübersicht.
Liebe Katja,
durch Eure gestern durch Bild- und Tonmaterial gestützten Schilderungen Eurer vielschichtigen Reise nach Äthiopien angeregt, habe ich eben mit großem Interesse den Teil Deines heutigen Newsletters über den Staudamm gelesen. Es bleibt zu hoffen, dass die betroffenen Länder ins Gespräch miteinander kommen, um die vielen Verflechtungen zu lösen und nicht nur ihre eigenen Interessen sehen. Das ist ja im Kleinen genauso…
Ich werde in den nächsten Tagen gerne Deine anderen Beiträge lesen.
Liebe Grüße, Ute
Liebe Ute, herzlichen Dank für dein Interesse – das freut mich sehr! Ich hoffe auch, dass sich eine gute Lösung findet und werde wieder berichten, sobald es etwas Neues gibt. Liebe Grüße! Katja