Mega-Staudamm in Äthiopien: Bauwerk mit politischer Sprengkraft

Ein gigantischer Staudamm in Äthiopien steht kurz vor der Eröffnung. Durch den Damm am Blauen Nil will das Land seine Stromversorgung verbessern. Doch das Bauwerk könnte in Ägypten das Wasser knapp werden lassen. Für einen Kompromiss bleibt nur noch wenig Zeit.

Drei Wochen Backpacking in Äthiopien – mit diesem Highlight hat für mich das Jahr 2020 angefangen. Auf der Reise haben wir unter anderem die Tissisat-Wasserfälle am Blauen Nil besucht. Die Fälle galten lange als ganz besonderes Naturschauspiel und waren eines der beliebtesten Touristenziele im Land. Vor unserem Ausflug hatten wir zwar schon gehört, dass es dort nun weniger Wasser gibt, weil am Fluss ein neues Kraftwerk gebaut wird. Aber neugierig waren wir trotzdem.

Vor Ort angekommen stellten wir allerdings fest: Gerade in der Trockenzeit ist von den einst mächtigen Wasserfällen wirklich nicht mehr viel übrig geblieben. Ihr seht das auf dem Foto oben. Ich persönlich fand den Besuch damals trotzdem beeindruckend, weil ich mir dachte: Interessant, dass Äthiopien, um Strom zu gewinnen, ein so wichtiges touristisches Highlight geopfert hat. Vor allem wurde sicherlich auch das Leben von Menschen und Tieren vor Ort ziemlich durcheinander gebracht. Inzwischen ist mir aber klar geworden, dass der Konflikt um den Staudamm in Äthiopien sogar eine noch viel größere Dimension hat.

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Hier ein Video, das zeigt, wie die Fälle früher mal ausgesehen haben.

Staudamm in Äthiopien: Eine Bedrohung für Ägypten

Der neue Staudamm in Äthiopien soll der größte in ganz Afrika werden. Mit der Energie aus dem zugehörigen Wasserkraftwerk will die Regierung das aufstrebende Land einen entscheidenden Schritt voranbringen. Das Problem ist aber, dass der Damm erheblichen Einfluss auf die Nil-Anrainer-Länder Sudan und Ägypten haben wird. Bei Karthum, der Hauptstadt des Sudans, vereint sich nämlich der Blaue Nil mit dem Weißen Nil, und fließt dann weiter nach Ägypten. Wenn Äthiopien den Blauen Nil für einige Jahre aufstaut, könnte in den Nachbarstaaten das Wasser knapp werden.

Bereits seit Jahren ringen die Länder daher um einen Kompromiss. Im Fokus steht die Frage, wie schnell das Staubecken geflutet werden soll. Äthiopien peilt dafür einen vergleichsweise kurzen Zeitraum von sieben Jahren an. Dann könnte das neue Kraftwerk möglichst schnell auf Hochtouren laufen.

Ägypten dagegen fordert, dass sich die Regierung in Addis Abeba mit dem Fluten mindestens zwölf Jahre Zeit lässt. Denn je mehr Wasser Äthiopien dem Blauen Nil pro Jahr abzapft, desto stärker wird Ägypten die Folgen spüren. Bisher sind alle Verhandlungen über diese Frage gescheitert. Nun aber wird der Konflikt akut: Schon im Juli will Äthiopien anfangen, das Staubecken zu fluten.

Grand Renaissance Damm Äthiopien: mehr Wasser als im Bodensee

Um welche Dimensionen es dabei geht, zeigt ein kurzer Blick auf die Zahlen. Die International Hydropower Association schreibt, dass der Grand Ethiopian Renaissance Dam, kurz GERD, insgesamt rund 70 Milliarden Kubikmeter Wasser aufstauen soll.

Zum Vergleich: Der Bodensee umfasst rund 50 Milliarden Kubikmeter Wasser. Der GERD soll dadurch so viel Strom erzeugen wie mehrere deutsche Kernkraftwerke zusammen. Äthiopien werde seine Stromversorgung verdoppeln können, schreiben die Wissenschaftler Addisu Lashitew und Haim Kassa im African Business Magazine.

Für Äthiopien ist das von zentraler Bedeutung. Das Land zählt zu den am schnellsten aufstrebenden Ländern des Kontinents. Darüber habe ich bereits geschrieben. Dennoch ist die Stromversorgung vielerorts bisher nicht gut ausgebaut. Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit zeigen zum Beispiel, dass bis 2017 nur 44 Prozent der Äthiopierinnen und Äthiopier überhaupt Zugang zum Stromnetz hatten.

Und dort wo die Stromversorgung funktioniert, ist sie unzuverlässig. Auf meiner Reise in Äthiopien habe ich das selbst erlebt. In Debarq im Norden des Landes haben wir einmal einen ganzen Abend im Dunkeln verbracht – mit Stirnlampe auf dem Kopf.

Mega-Staudamm in Äthiopien: Stromausfälle sollen abnehmen
Stromausfall für Stunden: Der neue Staudamm in Äthiopien soll solche Szenen künftig verhindern. (Foto: KS)

Weniger Stromausfälle vs. Wassermangel

Was als Tourist ganz lustig ist, ist für die Menschen vor Ort allerdings ein echtes Ärgernis. In einer Umfrage der Weltbank von 2015  beschwerten sich 80 Prozent der Unternehmen aus Produktion und Handel, dass bei ihnen ständig der Strom ausfalle. Im Schnitt passierte das demnach gut acht Mal pro Monat für jeweils knapp sechs Stunden.

Klar, dass es für die äthiopische Regierung daher eines der obersten Ziele ist, die Stromversorgung zu verbessern. Und zwar so schnell wie möglich. Premierminister Abiy Ahmed sagte Anfang April in einer Rede, Priorität sei es nun in der Corona-Pandemie Leben zu retten. Direkt danach auf der To-Do-Liste stehe aber der GERD.

In Ägypten sorgt das für große Sorge. Dort will die Regierung erreichen, dass Äthiopien die Flutung des neuen Staubeckens möglichst langsam angeht. Wie die belgische Nichtregierungsorganisation International Crisis Group schreibt, bezieht Ägypten rund 90 Prozent seines Frischwassers aus dem Nil. Der wiederum speist sich zu großen Teilen aus dem Blauen Nil. Die Regierung in Kairo befürchtet, dass in Ägypten viele Landwirte arbeitslos werden und das Land noch mehr Lebensmittel aus den Ausland zukaufen muss, wenn Äthiopien zu stark in den natürlichen Verlauf des Flusses eingreift.

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Dieser ARD-Bericht zeigt, wie die Eingriffe am Nil das Land verändern.

Dazu kommt: Ägypten betreibt ein eigenes Wasserkraftwerk am Nil, den sogenannten Assuan-Staudamm. Fällt durch den neuen Staudamm in Äthiopien das Wasserlevel im Fluss zu stark, könnte dadurch die Stromproduktion in Ägypten weniger werden.

Staudamm in Äthiopien: Sudan ist Befürworter

Die Folgen des neuen Staudamms in Äthiopien betreffen zudem auch den Sudan. Dort könnte durch den GERD ebenfalls das Wasser knapper werden. Dennoch zählt die dortige Regierung inzwischen zu den Befürwortern des Projektes. Sie hofft, dass der neue Staudamm das Wasser im Blauen Nil gleichmäßiger fließen lässt, sodass es in der Regenzeit seltener zu Überschwemmungen kommt. Außerdem gibt es ein vages Übereinkommen, wonach Äthiopien dem Sudan überschüssigen Strom aus dem Kraftwerk zuliefern wird – was Kritiker allerdings bezweifeln.

Die Ausgangssituation ist also vertrackt. Und dass in dem Konflikt auch Vergangenheit und Zukunft eine Rolle spielen, macht es nicht besser. So berichtet die taz, dass die letzten offiziellen Verträge über die Nutzung des Nilwassers aus dem Jahr 1959 stammen. Dabei wurde Äthiopien in die Verhandlungen gar nicht mit einbezogen. Und nach einem Bericht des Guardian könnte der Klimawandel dafür sorgen, dass das Wasser in der Region ohnehin knapper wird – auch schon ohne neuen Staudamm.

Verhandlungen über den Staudamm: ein letzter Versuch

Schon seit Jahren ringen die Regierungen in Ägypten, im Sudan und in Äthiopien daher um eine gute Lösung. Bisher ohne Erfolg. Zuletzt haben sich daher sogar die USA als Mediator in die Verhandlung eingemischt. Wie der Nachrichtensenders BBC berichtet, hat die US-Regierung vorgeschlagen, mit dem Fluten des Stausees so lange abzuwarten, bis eine Einigung gefunden sei. Damit hätte Ägypten quasi eine Art Veto-Recht bekommen. Die äthiopische Regierung war von der Idee wenig begeistert. Erneut endeten die Verhandlungen im Februar ohne Ergebnis.

Nun tickt die Uhr. Wenn Äthiopien im Juli ohne Kompromiss beginnt, große Wassermengen aus dem Fluss aufzustauen, könnte der Streit mit Ägypten eskalieren. Selbst António Guterres, der Chef der Vereinten Nationen, hat die Länder daher noch einmal ermahnt, sich zu einigen. Und die Bereitschaft dazu scheint gegeben: Medienberichten zufolge wollen die Staaten die Gespräche nun ein weiteres Mal versuchen, eine friedliche Lösung zu finden. Es könnte die letzte Chance dafür sein.

Aktualisierung (03.07.2020)

Wie die FAZ berichtet, haben die beteiligten Regierungen inzwischen eine Einigung erzielt. Allerdings: Zu den Details der Einigung steht dort wenig und das finale Abkommen dazu muss erst noch ausgearbeitet werden.

Aktualisierung (01.08.2020)

Äthiopien hat begonnen, den Stausee zu fluten. «Wir haben das erste Auffüllen des Damms erfolgreich abgeschlossen, ohne andere zu stören oder zu verletzen», teilte Regierungschef Abiy Ahmed Ende Juli mit. Dank der Regenzeit sei der Stausee mit 4,9 Milliarden Kubikmeter Wasser gefüllt worden, ohne den Wasserfluss stromabwärts zu unterbrechen, twitterte Wasserminister Seleshi Bekele. Nun müsse man den Bau fertigstellen und die übrigen diplomatischen Themen klären, hieß es von der Regierung. Die Verhandlungen zwischen den beteiligten Ländern laufen weiter. Mehr Infos dazu findet ihr unter anderem bei Tagesschau.de.

Lesetipps:

  • Ein Meinungsbeitrag zum Thema aus dem African Business Magazine (englischsprachig)
  • Die Max-Planck-Gesellschaft erklärt, wie eine potentielle Lösung des Konflikts aussehen könnte.
  • In diesem Blogbeitrag erfahrt ihr mehr über meine Reise in Äthiopien und die wirtschaftliche Entwicklung vor Ort.

Ihr wollt mehr erfahren über Äthiopien? Hier geht’s zur Länderübersicht.

3 Antworten zu “Mega-Staudamm in Äthiopien: Bauwerk mit politischer Sprengkraft”

  1. Ein sehr interessanter Bericht! Danke dafür! Wir sind ebenfalls Anfang 2020 mit den Fahrrädern durch Ägypten, Sudan und Äthiopien geradelt und haben auch einiges von den Locals gehört: Viele Ägypter äußerten Ängste darüber, dass es bald nicht mehr genug Wasser für sie gibt. Einige beschuldeten sogar Israel, dass sie Äthiopien unterstützen um so gegen den Islam zu wettern. Andere sprachen von einem Militärabkommen zwischen Ägypten und Eritrea damit Ägypten (bzw. Militärbasis Ägypten in Eritrea).

    1. Hi Marius, vielen Dank für diese Eindrücke. Sehr interessant! Wir hatten bei unserer Reise in Äthiopien tatsächlich eher wenig über den Damm gehört. Nur, dass es ihn gibt und die Blauen-Nil-Fälle betroffen sind. Aber klar: In Ägypten weckt das Projekt bestimmt sehr viel mehr Ängste…

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