Die Krise im Sahel – Ursachen und Lösungsansätze

Mehrere Putsche und gewalttätiger Extremismus: Der Sahel gilt zunehmend als politisch instabil. Moussa Tchangari von der nigrischen Bürgervereinigung Alternative Espaces Citoyens erklärt in seinem Buch die nationalen und internationalen Hintergründe der Krise im Sahel und zeigt potentielle Lösungsansätze auf.

Ich möchte euch ein interessantes Buch empfehlen: “Sahel” von Moussa Tchangari. Es ist im November im Verlag Westend erschienen und gibt einen guten Einblick in die komplizierte politische Lage im Sahel.

Ich habe bisher auf meinem Blog nicht über den Sahel geschrieben und wusste daher vorab auch nur wenig über die Region. Ich fand es daher sehr interessant, eine einheimische Perspektive auf die Lage vor Ort kennenzulernen. Dafür hat sich das Lesen sehr gelohnt.

Die Krise im Sahel: Alles andere als typisch für die Region

Kurz vorweg: Der Sahel umfasst im engeren Sinne die fünf Länder Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und den Tschad. Seit dem Jahr 2020 gab es in der gesamten Region sechs Staatsstreiche: zwei in Mali, zwei in Burkina Faso, einen im nahe gelegenen Guinea und einen in Niger. Das ist eine neue Entwicklung. Denn die Staaten galten zuvor als politisch stabil, wenn auch arm.

Wie aus dem Vorwort zum Buch hervorgeht, arbeitet Tchangari schon seit 2017 an dem Text. Er begann also weit vor den aktuellen Ereignissen. Für die Veröffentlichung seines Werkes auf Deutsch hat der Autor den Text aktualisiert. Und auch er betont im Vorwort, dass die jüngsten Entwicklungen für die Menschen vor Ort ein absoluter Ausnahmezustand sind.

Was ihr von dem Buch erwarten könnt

Er schreibt: “Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass diese Krise die schwerwiegendste ist, die die Länder der Region seit der Erlangung der Unabhängigkeit im Jahr 1960 erlebt haben. Es ist das erste Mal, dass diese Länder Erfahrungen mit Terrorismus machen […]; und es ist auch das erste Mal seit dem Präzedenzfall im Tschad, dass die regulären Streitkräfte eines Sahelstaates die Kontrolle über große Gebiete verlieren und dass ausländische Kräfte zu Hilfe gerufen werden.”

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Der Autor hat sein 140 Seiten langes Buches in drei Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel geht es um die Frage, warum die Arbeit der Vereinten Nationen bei der Krise im Sahel bisher wenig Wirkung zeigt. Zur Erinnerung: Die Vereinten Nationen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um den internationalen Frieden und die Sicherheit zu erhalten. Schon vor fast zehn Jahren hat die Organisation einen Aktionsplan zur Verhinderung von gewalttätigem Extremismus veröffentlicht. Allerdings fehle diesem Plan etwas sehr Wichtiges, kritisiert Tchangari: nämlich eine klare Definition von “gewalttätigem Extremismus”.

Die Krise im Sahel: Warum der Aktionsplan der UN nicht hilft

Das führe dazu, dass die Regierungen im Sahel die Empfehlungen der Vereinten Nationen nur sehr bruchstückhaft berücksichtigten: Sie gingen zwar hart gegen radikale Gruppen vor, aber sie ignorierten die strukturellen Faktoren, die gewalttätigen Extremismus begünstigten, schreibt er. Zum Beispiel die schlechte Versorgungssituation: “Obwohl sie weder in den Reden und Forderungen der bewaffneten Gruppen noch in den sogenannten Regierungsinitiativen zur Verhinderung von gewalttätigem Extremismus auftaucht, ist die Ernährungsunsicherheit einer der Schlüssel für die Situation in diesen Ländern.” Diese wird durch den Klimawandel verstärkt.

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Darüber hinaus gebe es in den Ländern ein “strukturelles Demokratiedefizit”, wie Tchangari im zweiten Kapitel schreibt. Er zeigt auf, dass viele Regierungen in der Region stark auf staatliche Gewalt setzen – obwohl sie sich durchaus darüber bewusst sind, dass sie das in ein Dilemma führt: “Auf der einen Seite sind sie sich darüber im Klaren, dass die Anwendung von Gewalt seitens des Systems nicht länger ausreicht, um die Bürger von der offenen Revolte abzuhalten; auf der anderen sehen sie sich jedoch mit dem Umstand konfrontiert, dass sich in der Gesellschaft selbst nur wenige funktionierende Mechanismen finden, die an die Stelle dieser Gewaltmittel treten könnten.”

Die Rolle Jugend: zwischen Frust und Verantwortung

Ob das militärische Engagement ausländischer Staaten dazu beiträgt, die Situation in der Region zu verbessern, stellt Tchangari in Frage. Er schreibt: “Heute wirft die militärische Präsenz ausländischer Mächte in der Region […] viele Fragen auf. Denn während sie tatsächlich die Möglichkeit eröffnet hat, die Besetzung von Orten im Norden Malis durch dschihadistische Gruppen zu beenden, so hat sie doch nicht dazu beigetragen, die territoriale Integrität des Landes wiederherzustellen und die Ausbreitung von Unsicherheit in den Nachbarländern zu verhindern. Vor diesem Hintergrund ist die militärische Präsenz ausländischer Mächte in der Sahelzone zu einem weiteren Umstand geworden, der die in der Jugend grassierende Frustration nährt, zumal diese Letztere immer mehr Wert auf die Verteidigung der nationalen Souveränität legt.”

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Mehr Verständnis für die Krise im Sahel – ein erster Schritt

Gleichzeitig ist die Jugend die gesellschaftliche Kraft, die es aus Sicht des Autors braucht, um eine nachhaltige Veränderung in der Region zu erreicht. Tchangari schreibt, es brauche in der Sahelzone eine Revolution und zwar “außerhalb des heute vorgezeichneten Weges der bewaffneten Gewalt”. Noch gebe es zu wenige junge Menschen und zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich darum bemühten, und die, die es gebe, kämpften mit erheblichen Widerständen.

Mir persönlich hat die Lektüre des Buches viel gebracht. Ich habe nun ein sehr viel vollständigeres Bild von der politischen Lage im Sahel. Außerdem fand ich hilfreich, dass der Autor beschreibt, welche Probleme “hausgemacht”, also innenpolitisch bedingt, sind, und welche Probleme durch die Interessen ausländischer Staaten vor Ort entstehen. Das Buch zeigt: Schnelle Lösungen gibt es nicht. Aber vielleicht ist allein schon ein besseres Verständnis für die Probleme und für die Folgen des westlichen Handels vor Ort, zumindest ein kleiner Schritt in Richtung Besserung.

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