Vielen Kindern und Jugendlichen in afrikanischen Ländern fehlt es an Schulbildung. Das wollen zahlreiche Start-ups mit digitalen Lehrangeboten ändern. Doch Edtech in Afrika steht vor großen Hürden.
Im Februar entsandten die Afrikanische Union (AU) und die Vereinten Nationen einen Weckruf. „Die massiven Ungleichheiten in den afrikanischen Bildungssystemen erfordern dringende Maßnahmen“, sagte UNESCO-Generaldirektorin Audrey Azoulay bei einer gemeinsamen Pressekonferenz der Organisationen. Anlass war ein neuer Bildungsbericht über den Kontinent, der sehr schlechte Zahlen offenbarte.
So liegt die Schulabbrecherquote in etwa der Hälfte der afrikanischen Länder bei Kindern im Grundschulalter bei knapp 10 Prozent und bei Schülern weiterführender Schulen bei über 50 Prozent. Diese Quote nehme in mehreren Ländern zu, heißt es in dem Bericht. Und selbst die Kinder, die zur Schule gehen, haben oft große Lerndefizite. In Nigeria zum Beispiel sind rund 70 Prozent der Zehnjährigen nicht in der Lage, einen einfachen Satz zu lesen, zeigen Zahlen des Kinderhilfswerkes Unicef.
Bildung in Afrika: große Unterschiede zwischen einzelnen Staaten
Die Gründe dafür sind vielfältig. Schon jetzt fehlen auf dem Kontinent unzählige Lehrkräfte. Klassen mit über hundert Schülern sind keine Seltenheit. Um das zu ändern, bräuchte es bis zum Jahr 2030 rund 15 Millionen zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer, schätzt die UNESCO. Die anzuheuern gilt aber als sehr schwierig. Außerdem sind viele Lehrkräfte nicht gut ausgebildet. Und: Rund 80 Prozent der Kinder südlich der Sahara werden nicht in der Sprache unterrichtet, die sie zu Hause sprechen – ein weiteres Lernhemmnis.
Die Situation ist dabei von Land zu Land unterschiedlich. Das zeigen Zahlen der Weltbank. So sind Länder wie Côte d’Ivoire, Simbabwe, Namibia und mehrere afrikanische Inselstaaten noch recht gut aufgestellt. Dort können mindestens 90 Prozent der Menschen lesen und schreiben. In Ländern wie im Tschad, in Mali und in Burkina Faso liegt dieser Anteil nur bei einem Drittel. Bedeutende Unterschiede gibt es außerdem zwischen Städten und ländlichen Regionen sowie zwischen armen und wohlhabenderen Familien, schreiben AU und UNESCO.
Edtech in Afrika gilt als Wachstumsmarkt
Insgesamt bleibt großer Nachholbedarf im Bildungssystem und diese Aufgabe entdecken immer mehr afrikanische Startups für sich. Sie wollen die Mängel mit digitalen Lernangeboten mindern – zum Beispiel mit Online-Nachhilfekursen oder Lerninhalten per SMS. Edtech, also Education Technology, nennt sich das. Im Vergleich zu anderen Start-up-Sparten wie Fintech ist die neue Branche noch klein. Aber sie gewinnt an Bedeutung. 2022 haben Edtech-Startups in Afrika insgesamt knapp 25 Millionen Dollar von Wagniskapitalgebern bekommen. Das ist 70 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor, schreibt das Portal Disrupt Africa.
Ubongo aus Daressalam, Tansania, zählt zu den erfahrensten Edtech-Firmen auf dem Kontinent. Das Unternehmen wurde 2013 von einem fünfköpfigen Gründerteam initiiert und produziert seitdem Medienformate mit Bildungsanspruch – ein bisschen wie die „Sendung mit der Maus“. Ein Format, dass Ubongo herausgibt, ist zum Beispiel „Ubongo Kids“: die Geschichte von fünf neugierigen Kindern, die Abenteuer erleben und nebenbei ihre mathematischen, naturwissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten erproben. Die Inhalte laufen im Fernsehen und Radio, ergänzend gibt es Angebote per App.
Edtech in Africa: Noch gibt es große Herausforderungen
Heraus sticht außerdem das Unternehmen Ulesson aus Nigeria. Das Startup stellt Schülerinnen und Schülern Lernvideos und Lernquizze zur Verfügung und bietet ihnen Live-Nachhilfekurse an. Gegründet wurde es 2019 vom nigerianischen Serienunternehmer Sim Shagaya. Im Jahr 2021 bekam es 15 Millionen Euro an Wagniskapital, unter anderem vom chinesischen Internetkonzern Tencent. Mittlerweile hat das Startup eine eigene Online-Universität gegründet. Miva heißt diese. In Nigeria werde jährlich mehr als einer Million Studierenden der Zugang zu Universitäten verweigert, unter anderem weil Plätze fehlten, sagte Sim Shagaya zum Start von Miva dem Technologieblog benjamindada.com. Das wolle er ändern.
Der Erfolg der Start-ups zeigt: Der Bedarf für digitale Bildungsangebote auf dem Kontinent ist groß. Gleichzeitig gibt es für die Branche viele Hürden. So sind Tablets, Laptops und Smartphones für viele Menschen auf dem Kontinent unerschwinglich. In reicheren Ländern wie Botswana liegen die Kosten für ein Smartphone bei nur 4 bis 5 Prozent des durchschnittlichen Monatsgehalts, schreibt die gemeinnützige Forschungsorganisation Edtech Hub. Aber in anderen Ländern ist das anders. In Burundi zum Beispiel müssen Menschen im Schnitt zwei Monatsgehälter für ein Smartphone aufbringen, in Sierra Leone sechs.
Afrikanische Regierungen sind in der Pflicht
Ein weiteres Problem sind die Kosten für mobiles Datenvolumen. Die liegen in vielen afrikanischen Ländern sehr hoch, unter anderem weil im Telekommunikationssektor der Wettbewerb fehlt. Auch die Kompetenz im Umgang mit neuen digitalen Bildungsangeboten, ist bei vielen Menschen noch nicht erlernt. „In den meisten Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen weiß fast ein Viertel […] der Erwachsenen nicht einmal, dass sie mit einem mobilen Gerät auf das Internet zugreifen können“, heißt es in der Analyse des Edtech Hubs weiter. Außerdem, und das gilt grundsätzlich, können digitale Lehrangebote ein gutes Schulsystem zwar sinnvoll ergänzen – aber nicht ersetzen.
Afrikanische Union und UNESCO appellieren daher an afrikanische Regierungen, dringend mehr für die Bildungsgerechtigkeit in ihren Ländern zu unternehmen. Diese sollen „flexible Unterrichtsformen entwickeln, den Einsatz digitaler Technologien ausweiten und die Datenerfassung verbessern, um die politische Planung zu erleichtern“, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung. AU und UNSECO empfehlen außerdem die Einführung einer Sekundarschulpflicht, den Bau zusätzlicher Schulen und eine bessere Ausbildung der Lehrkräfte als Maßnahmen.
1 Antwort zu “Edtech in Afrika: Große Chance – aber kein Selbstläufer”